Das Pop einmal - und ich muss meinen Kopf gar nicht allzu sehr bemühen: sehr lange ist dies noch gar nicht her- ein ästhetisches und politisches Heilsversprechen inne hatte, mutet zur Zeit als angestaubter Gedanke hinter den vergilbten Ausgaben der Beute an. Zurecht. Bewahrt es nicht nur mich vor so hässlichen Stilblüten wie Dieter Gorny oder Tim Renner und schont meine Nerven vor Ohnmachtsgefühlen, die mich bei ihrem chauvinistischen Gebahren befiel. Im Nebel des Medienherbstes sind sie verschwunden. Zum Glück... Um den Positivismus von beispielsweise Kodwo Eshun oder Mark Terkessidis ist es natürlich sehr schade - auch ich glaubte zu gerne an den Mainstream der Minderheiten, an Pop als eine Möglichkeit der Science Fiction. Was soll´s? Als politisches Instrument ist nicht mehr heraus zu holen, als dass sich jeder an Pop bedienen kann. Und so landet selbiger eben in der Mehrzweckhalle zur Beschallung von Parteitagen. Oder als Stichwortgeber für vulgäre Sendeformate, die mit Selektion durch Kampfbegriffe wie "Talent" arbeiten und somit die Marktwirtschaft als die Mutter aller Disziplinen postulieren.
Aber:
Es gibt sie noch, die Momente in großer Auflösung. Alle bekannten Strukturen kulminieren auf einer Tabula Rasa. Der Hörer schüttelt nur ungläubig den zu kleinen Kopf und steht wie ein Kind vor einer unbekannten Erscheinung.
Liebe Mitmenschen: TONETTA ist nichts geringeres als ein Phänomen, eine kunstgewordene Erscheinung, eine aus allen zeitlichen und sexuellen Strukturen herausgefallene Figur. Eigentlich könnte TONETTA die Kulminierung von besagtem Kodwo Eshun und seinen Band More Brilliant than the Sun sein. Ein eigener Kosmos, der in sich klingt und sich an seiner Ästhetik ergötzt. Ein wahrgewordener Traum der Gender studies, findet doch hier prompt mit dem ersten Takt und den ersten Sekunden der Videos eine Auflösung aller sexuellen und soziokulturellen Zusammenhänge statt. Nichts daran ist greifbar. Von der Visualisierung und der Präsenz des Kunstkörpers, über die Korrespondenz des semi-playbacks der Videos, bis hin zur Aufnahmeästhetik: Überall reisst der Boden weg, werden Fragen aufgeworfen, die unbeantwortet bleiben, anziehend und bedrohlich zugleich. Ein mythisch aufgeladener Raum ist das, der dort um TONETTA entsteht. Wer ist der Mann dahinter? Wo kommt er her? Wann nimmt er die Songs und die dazugehörigen Videos auf? Gibt es überhaupt einen Mann dahinter? Oder lebt TONETTA nur in diesem kleinen Kosmos des Aufnahmeraumes, zwischen all den Requisiten der Videos?
Alleine das wäre schon ein kostbares, seltenes Ereignis zeitgenössischer Popmusik. Das für mich allerschönste aber dabei ist: Er kann nicht anders als der radikale Widerspruch zum gesellschaftlichen Selbstverständnis der Hörerinnen wahrgenommen werden. Warum TONETTA nicht schon längst DER Star queerer Popkultur ist, bleibt mir ein Rätsel. Denn das hier ist soweit entfernt von dem immergleichen Aufkleben falscher Bärte und dem phantasielosen Discogeblubber vieler queerer Bands mit ihrer moralinsauren, pädagogisierenden Haltung. Das eine ist Einfalt, die in ihrer Herkunft steckenbleibt und keine andere Sprache findet. TONETTA eröffnet dagegen ein eigenes Varieté, dass vor Phantasie und Lust, vor Humor und nicht zuletzt großartigen Songs aus den Fugen zu geraten scheint. Es ist nichts anderes als eine andere Welt, mit einem elysischen Helden.
Nicht nur im Comic, nein- auch in der Popmusik darf es sie geben.
Danke, Popmusik.
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