Freitag, 24. September 2010

Ein neues Leben in blauen Briefumschlägen. Zum Tode von Martin Büsser


Die Oberstufenmelancholie hatte sich schon längst in einen ernsten, fiesen Trübsinn verwachsen. Ostwestfalen, eine 50er Jahre Wohnsiedlung, verloren im Nichts eines Kurortes. Die Straßen hatten Blumennamen. Die blankgeputzten Schilder werden noch die aseptische Ordnung benennen, wenn dieser Landstrich längst menschenleer ist. Es macht auch keinen Unterschied: Die Stille ist diesselbe. 1992 war wie 1976, war wie 2010.
Jedoch: Es gab zwei Orte, die Zuflucht vor dem verklinkerten Stumpfsinn boten. Das war das AJZ Bielefeld an der Heeper Straße. Und das war der Briefkasten, in dem das neue ZAP lag, zu diesem Zeitpunkt erschien es zweiwöchentlich. Beides begleitete mich, prägte mich. Nein, im Grunde war es viel mehr: Beides waren Vehikel, meinem persönlichen Catch-22 zu entfliehen. Diesem Scheiss-Ort, dieser Scheiss-Zeit.
ZAP und das AJZ passten zu diesem Zeitpunkt wunderbar zusammen. Das Grobe und das etwas Feingliedrigere. New York Hardcore und Bad Vugum-Bands. Yuppicide und Deep Turtle. Beide Seiten gehörten zu dem einen Ausdruck eines anderen Tones, dem ich mich verbunden fühlte und es noch immer tue.
Das das ZAP in diesem Sinne so große Bedeutung einnahm, das ich das Heft jedesmal durchpflügte und in mich aufsog- das ist ganz allein das Verdienst von Martin Büsser. Mochte sich auch noch so viel männliche Physis und kraftmeierisches Kampfgockeltum um seine Artikel sammeln, ein tätowierter Tough Guy neben dem anderen- Martin schrieb stoisch über all diese finnischen Bands, über Cecil Taylor, John Zorn und Marcel Duchamp, machte sich über Henry Rollins und sein chauvinistisches Intellekto-Geprahle lustig, verwendete Platz und Zeit auf die abseitigen Blicke jenseits der Powerasketen. Für mich und meinen Horizont, der am Teutoburger Wald aufhörte, war das nichts geringeres als DAS Tor nach draußen! Gerade in dem Umfeld schreibend, in dem auch ich mich wohl fühlte, aber dann doch immer wichtigen Schritte vom 50 Sekunden-Song entfernend, immer weiter weg von Slamdance und Dresscodes, von "Punk´s not dead"-Gelalle und all der Angst vor dem Weiterdenken, gerade in diesem Selbstverständnis war Martin so beeindruckend.
Ich habe später irgendwann begonnen, ihm Leserbriefe bezüglich seiner Artikel zu schreiben. Warum die neue Notwist nichts mit Erweiterung von avantgardistischen Elementen, sondern mit der Fortschreibung alter Harmlosigkeit vor neuer Klangtapete zu tun hätte. Was mich an seinem OVAL-Artikel so fasziniert hat. Warum er mir so aus dem Herzen sprach, als er die letzte REGIERUNG Platte lobte, um sogleich die schmierige Soloplatte von Tillman Rossmy zum Teufel zu jagen.
Ich habe totalen Quatsch geschrieben. Er hat mir jedoch stets geantwortet.Immer. Nie hat er es vergessen. Akkurat mit der Maschine getippt, in hellblauen Briefumschlägen versehen. Man konnte die Antworten quasi schon in der Tasche des Briefträgers ausfindig machen.
Und so wie er mir antwortete, stets mit dieser respektvollen Ernsthaftigkeit- so begegnete er wohl allen Interessierten, all seinen Zuhörerinnen auf den Lesungen.
Eine Lesung im Kulturbunker Mülheim, im Vorlauf zum Konzert der Goldenen Zitronen. Mit einer Hörprobe aus "Kristallnacht" von JOHN ZORN versuchte Martin das Problem des Distinktionsversprechens von Pop zu fassen. Eine geistig verwirrte Frau erzählte narkotisiert etwas von "RRREEEVOOLUTIOOON MACHEN!!" und von Kommunismus. Und die Art, wie er ihr begegnete, diese durchaus respektvolle, aber gerade in seiner Ernsthaftigkeit doch wieder so wunderbar humorvolle Weise, hat mir schwer imponiert. Er saß noch immer zwischen allen Stühlen. Und der einzige, der zu wissen schien, wo er sich zu positionieren hat, war Martin selbst.

In Martin habe ich immer einen Sprecher gesehen, der es so viel besser artikulieren kann als ich selbst- interessiert und in der Sache genau, mit großer Lust am Prinzip und am Scheitern desselben. Der Konsens aber, der fand stets seinen konsequenten Widerspruch.

Mit Fassungslosigkeit erreichte mich heute die Nachricht von Martin Büssers Tod.

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