Donnerstag, 21. Juni 2012

Zwei subversive Topadressen. SLIME und das OX



Was wiegt nun schwerer?
Das beklemmende Gefühl, der im Reagenzglas konservierten 80erStreetpunk-Attitüde von SLIME beim zähen, unappetitlichen Verfaulen zuzuschauen? Oder doch anhand der aktuellen ReReReReunion  der Band wieder einmal die miefig-reaktionäre Atmosphäre in den gepflegten Immobilien der Altpunks in tiefen, betäubenden Zügen einzuatmen? Das bereitet immer so schöne Schwindelanfälle.

Ich muss zugeben: Ich verspürte beim Lesen der Nachricht, dass es mal wieder Zeit für eine Slime-Reunion sei, eine perverse Lust, mich an dem bevorstehenden Mix aus putzigen Parolen und solider Berechenbarkeit zu ergötzen. Schon die bandeigene Begründung für die Wiederaufnahme des Immergleichen zeugte von einer selbstreferentiellen Zeitschleife, die turnusmäßig abgerufen wird. Sinngemäß geht die so : "Uns gibt es wieder, weil die Botschaft der Band ja leider noch immer Aktualität besitzt und sich an den gesellschaftlichen Missständen nach wie vor nichts getan hat" - und das, obwohl Slime das doch schon so vehement und so wahrhaftig eingeklagt hat. Einfach frech, diese Welt!

Der Blick auf die bisherige mediale Resonanz muss nur flüchtig unternommen werden, um gewiss zu sein: Die Vermutungen werden nicht enttäuscht.
Auch wenn die Gelenke nicht mehr so mitspielen mögen, alles schon ein wenig eingerostet zu sein scheint: Die Aktualität und Brisanz der Band wird in jedem Punk-Käseblättchen brav wiedergekäut. Sie alle sind so glücklich. Hurra, hurra! Das "Punk Urgestein" ist wieder da! Eine Liste von entsprechenden Interviews kann
man dann im Pressekit auf der offiziellen Homepage downloaden, um dann das abzuschreiben, was die anderen schon abschrieben. Vielleicht wird das ja im Remix noch viel besser, als es ohnehin schon daherkommt? Wieder einmal hat sich nichts in den letzten zehn zurückliegenden Jahren geändert, und von neuem wird das ewigliche Bild des 18-jährigen Neufans herbeibemüht, der noch nie etwas mit Punk zuvor zu tun hatte, jetzt aber - im Jahre 2012 - von der Band und ihren 30 Jahre alten Texten abgeholt wird. Diese Texte besitzen nämlich nach wie vor- und jetzt mal alle zusammen im Chor: AKTUALITÄT! Tätärääät!!


Lohnend ist stets der Blick ins OX, eines derjenigen "Fanzines", die noch schneller beim Abtippen des Promotextes sind als die sich selbst "Musikmagazine" bezeichnenden Werbebroschüren, die friedlich neben dem OX am Kiosk schlummern. Ein Garant für 1st class-Eindrücke in die Seele des authentischen Punkhörers. Das Interview in der aktuellen Ausgabe des OX, dass - so viel weiß ich schon im voraus - frei von jeglichem Mehrwert sein wird, hebe ich mir für das Bahnhofskiosk auf, wenn der Zufall und die Langeweile  mit ein paar erfrischenden Lachern unterbrochen werden möchte. Mir reicht alldieweil schon der Blick in eine ältere Ausgabe, wo der mit allen Wassern des knallharten Journalismus gewaschene Herausgeber Joachim Hiller folgende Frage stellt:


"Diskussionen gab es in der jüngeren Vergangenheit auch um "Yankees raus", eine im Zeitkontext der späten Siebziger schlüssige Formulierung, die in Zeiten von "Antideutschen" -Wahn allerdings kritisch gesehen wird. Wie geht ihr heute damit um, wie steht ihr generell zu euren teils sehr harten, direkten Aussagen, die man mit Mitte 40 so wohl nicht mehr machen würde - oder doch?" ( OX/ Januar 2008)
  
Gratulation! "Antideutschen-Wahn " - das wäre selbst dem Bayernkurier nicht eingefallen und hätte von der Jungen Freiheit nicht infamer formuliert werden können. Ganz zu schweigen von der Bemerkung  "eine im Zeitkontext der späten Siebziger schlüssige Formulierung", die auch nicht schlecht ist. Was in diesem Sinne nicht so alles im Zeitkontext der Dekaden eine schlüssige Formulierung gewesen sein mag... Da bekommt die historische Einordnung einiger prägnanter deutscher "Formulierungen", die in den letzten hundert Jahren en vogue waren, einen ganz neuen Sinnzusammenhang. Wie gesagt, Hut ab.

Aber wie stehen denn die Bandmitglieder jetzt dazu, zu ihren "teils sehr harten, direkten Aussagen"? Lesen wir:

" "Yankees raus" war natürlich auch ein Statement gegen die Besatzer, aber in erster Linie ein Anti-Kriegs-Lied, gegen den bzw. die Kriege der USA mit all ihrer Arroganz, all ihrer Dummheit, ihrer Grausamkeit und all ihrer unfassbar schrecklichen Konsequenz. Und - leider -, aber dies ist ja wohl offensichtlich, ist das immer noch aktuell. Allgemein ist es sicher müßig über die Frage, ob man mit Mitte vierzig noch "Bullenschweine" skandieren könnte, lange reden zu wollen. Klar ist: Unsere Sprache von damals - und die war ja aber auch keineswegs nur platt - transportierte die richtige Einstellung, und authentische Gefühle. Das war wahr und steht auch heute noch für sich, das hat immer noch Kraft und Aussage. Ich würde vielleicht einige Dinge heute anders ausdrücken, weniger dieses ständige Ihr/Wir, dieses Schwarz/weiß. Aber davon handeln auch schon Texte wie z.B. "Brüllen, zertrümmern und weg". Ich persönlich bin mittlerweile der Auffassung, das Hass nirgendwo hinführt und man sich vor allem selbst damit schadet." (OX / Januar 2008)

Peace, Alter! Klar, mit den sich mehrenden Lebensjahren kommt ganz allmählich auch die Milde und die Weisheit über einen. Vielleicht so in der Art wie die USA als "BESATZER" über Deutschland kamen?  Na, das drückten Slime selbstverständlich heutzutage aber anders aus. Da steht dann eben "USA" für "Yankees". Intendiert bleibt das gleiche. Wichtig ist doch schließlich, dass die Aussagen wahr sind und auch heute noch für sich stehen bleiben können. Vielleicht so die für Joachim Hiller im Zeitkontext schlüssige Passage "im Land der Freiheit sind alle gleich / so gleich wie damals im Dritten Reich"? Bei allem Antideutschen-Wahn und aller altersbedingten Vorsicht: Das ist hart und direkt. Und steht auch heute noch für sich. Denn geändert hat sich ja nichts. Hauptsache, die authentischen Slime wissen, was die Wahrheit ist. 

Gut jedenfalls, dass es Slime wieder gibt.
Das garantiert, dass das OX weiterhin Gespräche auf gleicher Augenhöhe führen kann.


Ein weiterer anekdotischer Verweis: Es gibt ein aktuell einsehbares Onlineinterview des Rolling Stone (alles, was plattenkaufenden Männern Spaß macht) mit den Slime-Mitgliedern Elf und Christian Mevs. Allein dies wäre schon in der bloßen Faktizität seines Zustandekommens amüsant genug. Es gibt da aber die Passage, in der Christian Mevs sich auf die Brisanz der Texte bezieht (vergessen? aktuell!! Tätärätätäää!!!) und von der Notwendigkeit spricht, das zu sagen, "was gesagt werden muss"... -Sicherlich. Es müssen die Worte nicht beständig nach möglichen Analogien befragt werden. Und nebenbei bemerkt, ist Mevs mit Sicherheit noch das erträglichste an Slime 4.0. Aber dies passt doch zu schön zu der anderen nobelpreisverdächtigen Wahrheit, die von einem im slimeschen Sinne noch weiseren Menschen letztens über die anderen Yankees geäußert wurde...
Willkommen im deutschen Haus.

Zum Schluss stelle ich noch zur Anregung eine meinem Empfinden nach sehr treffende Rezension zum neuen Album von Slime  in meinen Pressekit. Sie ist nachzulesen in der aktuellen Ausgabe der KONKRET, verfasst hat sie Michael Sailer. Big fucking Lesevergnügen.


Dirk - der sympathische Sänger von SLIME
 
Slime. Sich fügen heisst Lügen
Stärken und Elend des Früh-Achtziger-Deutschpunk verkörperten die Hamburger Slime wie niemand sonst: Das Playback von den Cockney Rejects geklaut, immer diesselben Themen ( Bullen, Spießer, Popper, Suff) - an guten Tagen haute das mörderisch rein. Bei Slime waren die Parolen ( „Polizei – SA- SS“, „Wir wollen keine Bullenschweine“, „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“) zeitlos demotauglich und sie selbst rechtzeitig weg, ehe der Blödsinn ab 1985 endgültig elend wurde.
Jetzt sind sie wieder da, vertonen Texte von Erich Mühsam und stehen sinnbildlich für dessen titelgebende Parole: Selbstverständlich ist das, was zur Zeit der Räterepublik aufklärer- bis aufrührerisch wirkte, heute nur noch Posentheater der bravsten Sorte. Es macht teilweise musikalisch Spaß – ein paar Sekunden lang, bis der „Gesang“ einsetzt. Dann weiß man wieder, wieso damals Postpunk, Reggae, NDW, FreeJazz, selbst ein Glamrockrevival als Alternative so attraktiv erschienen: weil das, was die „Unseren“ zu bieten haben, sich in der Sackgasse im Kreis dreht wie eine mechanische Springmaus mit dem Bauch voller TNT, weil diese Musik, wenn sie je rebellisch oder befreiend wirkte, heute nur noch das ist: kalt, trocken, staubig, unsexy, brutal, auf unerträglich bedrückende Weise bieder und spießig. Diese Band ist – und man fürchtet: war schon immer – ein Zeigefinger aus Beton, hinter dem einen eine aufgedunsene Fresse anplärrt, die alles besser weiß und der man entgegenplärren möchte: JA! ICH WEISS!
Dass Männer Ende vierzig denselben Stiefel herunterklopfen wie mit 16, wirkt bei den Toten Hosen weitaus peinlicher; schlimmer ist die Attitüde dahinter, die immer schon lautete: Ich hab den Längsten! Das ist so links wie ein Porsche mit „Atomkraft? Nein danke!“- Aufkleber. Vollkommen frei von Witz und Selbstironie wird aus dem besten Willen eine Orgie der muskulös-phallischen Selbstüberbietung, die dem letzten Anarcho-Hippie die Lust auf Rummsbumms austreibt. „Noch gibt es Ketten zu zerreißen“- vielleicht sollten wir die Panzerketten, mit denen ihr uns niederbrettert, als erste zerreißen, das Maul halten und ein Lächeln versuchen? Und des Lebens erfreuen und es dadurch ent-entfremden?
Die Alternative ist Bekehrte-anpredigen-für-Fortgeschrittene: „Freier Mut gebiert die Tat / Sie saugen uns das Blut vom Leibe / Die Welt ist schlecht / Drum nieder, Reichtum, Bourgeoisie / Erhebt euch, Mann für Mann / Schlagt sie tot, das Mörderpack / Das Joch der Unterdrücker / die Schmach... wir geben nicht nach“ - Ächz! Wir schreiben das Jahr 2012! Hört endlich auf, euch die Hosentaschen vollzuwichsen!
Michael Sailer in KONKRET 6/2012

4 Kommentare:

  1. "denn wir haben unsere altersheime, wenn der bombenteppich fällt"

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  2. Sepp Hintergruber8. Juli 2012 um 23:36

    Fick Dich und Deinen Drecksblog, Du beschissener kleiner antideutscher Vollhonk. Punk wird immer alles dürfen, auch Leuten wie Dir kräftig in den Arsch treten!

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    1. Danke des Wunsches, tue ich nach wie vor und mit Begeisterung! Und zum zweiten Satz: Aber nein,das geht doch gar nicht: In den xx treten kann mich Punk doch gar nicht, unmöglich mit der alterbedingten Arthrose...

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  3. Lieber Beau Travail,

    Einiges von dem, was Sie schreiben, stimmt sicherlich in der Analyse und hat seine Berechtigung. ABER: vielleicht hätten Ihnen mal jemand erzählen sollen, dass Texte von Punk-Bands keine Dissertationen sind, sprich, es kommt zwangsläufig zu Verkürzungen und Parolendrescherei. Man kann nun mal nicht in einem Zwei-Minuten-Song komplexe Sachverhalte angemessen analysieren bzw. differenzieren. Im besten Fall kann solch ein Text als Inspiration dienen, sich mit der Materie näher zu beschäftigen und z.B. Bücher zu lesen. Und dies deckt sich in Bezug auf die Intention vieler Bands als auch in Bezug auf die Rezeption. Klar gab es schon immer Leute, die diese Texte für die "reine Wahrheit" hielten-das waren aber doch schon immer die schlichteren Gemüter.

    Und, auch wenn sie einiges richtig ansprechen, ist ihr Text doch trotzdem polemisch und bedient sich unzulässiger Schnittmengen-Konstruktionen.
    Ich persönlich finde die letzte Slime-Platte musikalisch sehr gut, und ganz irrelevant ist die "Message" auch nicht-meine politische Meinungsbildung wird dadurch aber nicht beeinflusst, da lese ich lieber ein Buch.

    Ich gebe aber zu, dass, obwohl ich ihre Meinung nicht teile, ihr Artikel eine wohltuende Alternative zu den Artikeln in der Mainstream-Punk-Presse ist, die damals dem Leser teilweise suggerieren wollten, die wichtigste Punk-Platte der nächsten 100 Jahre würde erscheinen.

    Viele Grüsse

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