Dienstag, 20. Dezember 2011

2011. The year future broke


Ich kratze mich noch immer etwas ratlos am Hinterkopf. Eine Retrospektive. Noch dazu auf dieses vergangene Jahr. Es mutet befremdlich an, hatte ich doch noch nie ein solches Verlangen zu ressümieren. Vielleicht steckt darin meine Hoffnung auf Änderung? Mein persönliches Fin de Siècle.
Erinnere ich mich doch erst einmal an die letzte Zeit, der ich eine gründlich andere Gefühlslage zuschreibe. Das wäre die 90er-Popkultur und ihr damaliges Selbstverständnis: A-Musik, Kompakt und der Sound Of Cologne. Alles wurde und wird elektronisch. Der Tod des Popsongs war schon eingeläutet, irgendwie passte immer Lyotard und der postmoderne Diskurs, der einer Monstranz gleich vorweg getragen wurde. Und wenn das doch nicht passte, wurde es eben passend gemacht. Davon zeugte schon allein der Rezensionsraum neuer OASIS-, oder MADONNA-Alben, die nicht so sehr die Produktion an sich oder das jeweilig neue Werk der Kunstschaffenden reflektierten, sondern viel mehr Brücken auf kulturelle Felder schlugen, die eigentlich keinerlei Assoziationen mit dem vorliegenden Werk zuliessen. Das Zündenwollen vermeintlich ausgefuchster Theorie-Freestyleraketen schlug dann doch bisweilen etwas zu tolle Blüten und ging in die Hose.

Mir hat es von der Denkbewegung her aber doch ganz gut gefallen, das mit dem 90er-Diskurs.

Fällt mir gerade zum Ende des Jahres 2011 ein. Übrig geblieben- geschweige denn transformiert- ist von der Diskurskultur nämlich nichts mehr. Der Schrei nach "Hedonismus", der erst Jahre später en vogue wurde, ist nur Zeugnis der keuschen Verschüchterung, die den jeweils rufenden Menschen an seinen bundesrepublikanischen Alltag bindet. Da kann man noch so viele verwegene Badges an seinen digitalen Habitus hängen- das Politische bleibt vor allem eines: privat. Die gern verwendete Umkehrung dieses Zusammenhangs ist gerade erst einmal Geschichte. Es ist das Sich-selbst-in-die-Schranken-verweisen, was aus dem Leben in den Facebookschen Bahnen spricht. Nein, kein Facebook-bashing. Trist ist das Leben (soweit der Mensch es kannte) schon immer gewesen, von daher ist diese Entwicklung auch nur ein neues Puzzleteilchen zum Trauerbild und verwundert nicht weiter. Verwundern lässt mich doch eher noch immer die einhellige Begeisterung, mit der sich das Gros der Mitmenschen in diese Möglichkeit der digitalen Familienaufstellung stürzt. Das Dauersenden von Befindlichkeiten und Geschmack in einen vermeintlich demokratischen Raum. Selbstverständlich aber nur demokratisch für den, der sich dazu anmeldet, um Umgang wirbt, und denjenigen, der Umgang gewährt.

Lange Rede, großer Unsinn, der sich daraus ergibt:





TORO Y MOI. Für mich DER IPod-Künstler schlechthin, das role model für die Shuffle-Funktion: Hm, was kommt wohl als nächstes?... -ein netter Beat, dann eine nette Melodie... -"Dumm di dumm, die Welt ist nicht schlecht, sie ist nur ein wenig krumm." Dagegen gibt es doch aber Designs, die die Welt vergessen machen! Ob als Produktdesign oder als Soundapp. Oder als Künstlerdesign, mit den richtigen netten Klamotten und dem passenden netten Augenaufschlag auf den Pressephotos. TORO Y MOI macht alles richtig.
Entschuldigung, aber ich möchte diese Welt kaputt sehen.




ABER: Es geht auch anders im Jahre 2011. Es wird durchaus Drastik angeboten. Das Jahr, in dem Metal als heisses Ding durchs Dorf getrieben wird. Natürlich aber auch in einer kernsarnierten Version: Die Bands sind echt deep. Krasse Ästhetik und Sounds, naturverbunden und doch Web2.0-kompatibel. Dieser Metal ist gerade in dem Maße mythologisch aufgeladen, wie es dem urbanen Checker noch gefallen darf, ohne gleich als mystischer Spinner oder gar verkappter Nazi dazustehen. Die Bands nennen sich Altar of Plagues, Deafheaven, Blut aus Nord (sic!) oder auch Urfaust. Echt krass, voll existentiell und düster und so.





















Die fünf ????? Es mag lange erwogen werden, was die Beweggründe Lou Reeds zu diesem Etwas gewesen sein mögen. Es ist, was es ist: Weiße Folter.















Indie. ARCADE FIRE, THE NATIONAL, WILCO, oder auch RADIOHEAD machen eine Platte nach der anderen. Die treue Zuhörerschaft kauft alles und wird das dann auch noch 2041 machen, so wie man der nachhaltigen, verbrauchsarmen Automarke vor der Haustür treu bleibt. Die in ferner Zukunft erwerbbaren Alben werden dann noch immer so gut zur Sofalandschaft und Kaffeepadautomaten passen, wie die gegenwärtigen Vorgänger es jetzt schon tun.



Lars von Trier. Seine Filme werden geschätzt, wie Black Metal gehört wird. Voll krass. Endzeit, Tod und Angst, und so. Der hat sogar echte Depressionen! Und hat sich dann noch als Nazi selbstbezichtigt. Mehr geht nicht an realer Krassheit.
Ich habe mir Melancholia erspart und erst einmal den Vorgänger geschaut, vor dem ich mich so geziert habe. Berechtigterweise, wie sich jetzt herausstellte: Der Wald, das Kind, das Reh, dazu Nebel und Stille. Und Möpse satt. Herrje, was für ein (Achtung, schon wieder ein Wortwitz!) Traum für die hobbypsychologisierende und hobbypsychologisierte Gesellschaft.




Witch House. Nein, es gibt eine ästhetisch-interessante Ausnahme: Das betörend-verstörend schöne Video "Suffocation" von WHITE RING

White Ring / Suffocation from ZenRipper on Vimeo.


Wohlgemerkt: Das ist EIN EINZIGES Video! ALLES andere hört sich nach schlimmsten Weissrussland-Dancesounds an. Nein, American Apparel-People: Das ist nicht cool. Es ist nur die Zillo-Version alter Dieter Bohlen und Michael Cretu-Sounds.



Bryan Ferry. Hey Mann, Bryan Ferry! Der (zugegebenermaßen großartig angezogene) Sänger der überbewertesten Band der Popgeschichte, feiert im besten aller Jahre sein mediales Comeback mit einer bezüglich der "Pfiffigkeit" seiner ehemaligen Band adäquaten Soloplatte. Sehe nur ich darin eine pointierte Analogie für 2011?


















Der Rest wäre das, was mir gefiel. Ganz ohne "gefällt mir"-Button:

TERROR PIGEON DANCE REVOLT
Erschienen auf dem LUAKA-Label von David Byrne.
Ihre Lieder heißen "IN YOUR FACE SUCKINESS!!" und sie singen vom "grouphug".
Sie machen die Zeit gut. Wirklich.

Terror Pigeon Dance Revolt - Tokyo Drift by snakesplusladders

CASE STUDIES
Es passt einfach zu gut zu dieser Musik, dass sie übersehen wurde und wird.

Case Studies - The Eagle, or the Serpent by sacredbones


HOAX


Schönste Band des Jahres mit den größten Hits des Jahres. Meine TORO Y MOI.

Hoax - Fagget by Katorga Works


CRYSTAL STILTS
Wenn wir noch einmal kurz die angesprochenen 90er aufnehmen: Zu diesen Zeiten gab es einmal die treffende BEASTIE BOYS-Zuschreibung: "Das coole Wissen".
Das trifft 2011 für CRYSTAL STILTS und ihrem Album "In love with oblivion" zu. Nie erklangen die Kosmen frühpsychedelischer Bands schöner wieder, trafen sich mit Manchesterbands der 80er- und waren doch gänzlich eigen und immer diese eine Band Crystal Stilts. Was für eine coole Platte!

Crystal Stilts - Through The Floor by Slumberland Records

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