Dienstag, 23. November 2010

Der Bambi für die Lebensleistung 2010 geht an Ian MacKaye


Ein Muskelspiel von Zeit zu Zeit: Das an Ernüchterungen reiche Dasein auf diesem Planeten muss mir armen Kreatur in unregelmäßigen Abständen dann doch die ganze Dimension der Hoffnungslosigkeit aufzeigen. Ich meine nicht den großen Lebenseinschnitt oder einen folgenreichen Schicksalsschlag. Kleinere Schlaglöcher der Bedeutungslosigkeit tun es auch. Sie liegen da so im Leben herum- aber sie tun doch so weh!

Heute als plastisches Beispiel: Ein OX-Interview mit Ian MacKaye im Jahre 2010. Sofort stöhnt es aus der Vergangenheit auf und die Hoffnung kaut nervös an den Fingernägeln: Hoffentlich NICHT wieder dieses in Stein gemeißelte triadische Themenfeld aus "Straight Edge", "DIY" und diesem "ich bin gar nicht so sektiererisch, wie manche Leute mich sehen wollen", dass so ziemlich JEDES Fanzine mittlerer Größe in den letzten 15 Jahren heimgesucht hatte. Warum nur sahen sich alle Magazine bemüßigt, ein Interview mit Ian MacKaye zu führen, dass in Form und Inhalt schon hundertfach gehalten und veröffentlicht worden ist? Eine stillschweigende Liturgie machte JEDES Interview mit dem Dischord-Mitbegründer zu einem vorhersagbar-schalen Vergnügen. Die Fragestellenden stellten die ewigen Fragen zu den Anfangstagen der DC-Szene und zur Etymologie des Begriffs "Straight Edge", erkundigten sich nach der bösen Industrie und seiner Sicht dazu, Ian MacKaye relativierte brav, nein, ´böse Industrie´, dass könne man so nicht sagen, man kann nur für sich selbst sorgen, sein eigenes Umfeld bestimmen. Und dies wäre auch sein Credo von ihm und allem, was im Dischord-Umfeld stattgefunden hat, sich um sein eigenes Leben zu sorgen, sich kritisch zu positionieren...
So in etwa wurde ein- und dasselbe Interview veröffentlicht und veröffentlicht und veröffentlicht, die Frage/Antwortmaschine spulte stets zurück und fing bei der Anfangsfrage an.

So, und jetzt nach Jahren ein erneutes Interview mit ihm im OX. Was wird es thematisch nur beherbergen?
Vielleicht die Stille und das Altern, das sich doch spürbar auf das lang gehegte DC-Interesse gelegt hat? Vielleicht ein persönliches Interview um seine Vaterschaft und wie sehr sich sein Leben dadurch womöglich änderte? Ob er sich als alternden Menschen empfindet, der nicht mehr viel mit der ihm stets unterstellten und konservierten Lebensführung zu tun hat, die ihm noch immer nach all den Jahren zu einer Gallionsfigur der DIY-Kultur gereichen soll? Ja, vielleicht wird seine Öffentlichkeitsferne der letzten Jahre dazu führen, ein NEUES, ein ANDERES Interview mit ihm zu lesen?
Das Thema des Interviews lautet: "Straight Edge". Und bereitwillig setzen sich alle Akteure zusammen und tun ihren Job.

Es arbeiten alle Rädchen einer Mechanik präzise zusammen und arbeiten eine Erkenntnis schön plastisch heraus: Hardcore/Punk ist nicht tot. Es lebt und arbeitet, bezahlt Steuern und macht Rieser-Rente. Nebenbei lallt es beständig von gestern und das heute alles genauso ist- man muss sich eben nur anstrengen.
Nein, tot ist Hardcore nicht. Es lebt und mäht artig den Vorgarten, damit noch immer alles so herausgeputzt ausschaut wie eh und je. Alles hat seinen Platz- und der wird nicht preisgegeben. Das OX beispielsweise. Wie viele Jahrzehnte gibt es das schon? Jedenfalls wird noch immer munter von Themenfeldchen zu Themenfeldchen gesprungen, immer zwei Zenitmeter am kritischen Journalismus vorbei. Das könnte glatt noch als 1992 durchgehen... Das andere Bundesamt für Hardcore/Punk- das TRUST- hat es ja auch ähnlich transparent zwischen zwei Buchdeckel drucken lassen: "HARDCORE ALS LEBENSENTWURF". Gemeint ist natürlich: Durchschaubarkeit als Lebensentwurf.
Aber auch Ian MacKaye. Oje. Dieses ewigwährende Halten an allgemeingültigen "vernünftigen" Prinzipien und die Proklamation des kritischen Subjekts schmecken so abgestanden und schal, dass ich diesen durch und durch ehrenwerten Mann einfach nicht mehr zuhören möchte. Seine unermüdliche Bereitschaft auf die Fragen nach Straight Edge und Veganismus zu antworten, mag als Indiz seines stoischen Gemüts hinhalten. Ich warte diesbezüglich sehnsüchtig auf die Verweigerung, die er zu Anfang des Interviews anspricht (um seinerseits sogleich munter minutenlang über die totzitierten Worthülsen zu spazieren). Vielleicht einmal ein Interview OHNE Fugazi-Frage? Ohne Straight Edge-Exegese? Warum hat er nicht einmal keinen Bock auf diese Interviews?
Ich möchte mich gerne von meinem eigenen, naiven Hochhalten des "DC-Geistes" und all der hineininterpretierten positiven Attribute verabschieden. Das war meiner Jugend geschuldet. Ich bin nicht mehr jung, Ian MacKaye ist es auch nicht. Also, lasst uns den Rest hier noch nett über die Runden bringen. Aber, BITTE: Keine Straight Edge-Interviews mehr!!!
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"Lass uns nach den Themen Straight Edge und Religion doch über was ganz Grundsätzliches reden: übers Essen."- OX #91

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